Zurück nach Vilnius für ein Wochenende.

Vilnius, die Hauptstadt Litauens, ist für mich mehr als nur eine Stadt. Hier hat ein wichtiger Teil meiner Geschichte begonnen. Sie ist voller Erinnerungen, Emotionen und Momente, die mir geholfen haben, zu verstehen, wer ich wirklich bin.

Ich hatte meine erste Erfahrung in einem schwulen Club in Vilnius. Es ging nicht nur ums Feiern oder Tanzen – es ging darum, endlich frei zu sein. Zum ersten Mal habe ich nicht so getan, als wäre ich jemand anders. Ich habe mich nicht hinter einem falschen Lächeln versteckt oder so getan, als würden mir Mädchen gefallen, nur um dazuzugehören. Ich war einfach ich selbst. Dieser Moment war ein kleiner, aber bedeutungsvoller Schritt in Richtung des Lebens, das ich wirklich leben wollte.

Heute nenne ich diese Zeit „ein anderes Leben“. Damals lebte ich wie ein heterosexueller Junge, weil ich dachte, ich müsste es tun. Ich war von homophoben Menschen umgeben, die es schwer machten, ich selbst zu sein. Es war, als würde ich jeden Tag eine Maske tragen – und das war sehr anstrengend. Aber in Vilnius konnte ich diese Maske ablegen. Ich konnte echt sein. Ich konnte frei sein. Und dieses Gefühl werde ich nie vergessen.

Vilnius hat mir viele besondere Momente geschenkt. Ich erinnere mich daran, wie ich bei Sonnenuntergang die Pilies-Straße entlangging und dachte: Ich will mich nicht länger verstecken. Ich erinnere mich, wie ich in einem kleinen Café in Užupis saß, verwirrte Gedanken in ein Notizbuch schrieb und mich fragte, ob jemand anders so fühlte wie ich. Ich erinnere mich daran, wie ich zum ersten Mal einen Jungen am Fluss küsste, mein Herz schlug schnell, und ich hatte das Gefühl, dass die Welt endlich Sinn ergab.

Vilnius hat auch eine faszinierende Geschichte.

Es ist eine der ältesten Städte im baltischen Raum. Zum ersten Mal wurde sie 1323 erwähnt und hat seitdem viele Veränderungen erlebt. Die Stadt gehörte zu verschiedenen Reichen, überstand Kriege und schwere Zeiten, aber sie hat ihren Charme nie verloren. Die Altstadt ist eine der größten und schönsten Europas. Dort spazieren zu gehen fühlt sich an wie ein Spaziergang durch die Geschichte – mit alten Kirchen, engen Gassen und Gebäuden voller Charakter.

Ein Ort, den ich besonders mag, ist Užupis. Das ist ein kleines, kreatives Viertel, das sich 1997 selbst zur „Republik Užupis“ erklärte. Am Anfang war es nur ein Scherz, aber heute ist es ein künstlerisches und lustiges Viertel mit eigener Flagge, Präsident und sogar einer eigenen „Verfassung“. Die Regeln sind lustig und tiefgründig zugleich – wie „Jeder hat das Recht, glücklich zu sein“ und „Jeder hat das Recht, einzigartig zu sein“. Als ich sie las, musste ich lächeln. Auf eine seltsame Weise fühlte es sich so an, als würde Užupis mich besser verstehen als viele Menschen.

Vilnius hat auch eine tieftraurige Geschichte in Bezug auf seine jüdische Gemeinde. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt als „Jerusalem des Nordens“ bekannt. Sie hatte eine große, reiche jüdische Kultur und war ein Zentrum des Wissens. Doch im Krieg wurde ein Großteil dieser Gemeinschaft ausgelöscht. Heute bemüht sich Vilnius, sich an diesen Teil seiner Vergangenheit zu erinnern und ihn zu ehren. Wenn man durch das alte jüdische Viertel geht, bleibt man stehen und denkt nach – darüber, wie wichtig es ist, sich zu erinnern, wer wir sind und woher wir kommen.

Vilnius ist keine perfekte Stadt. Wie jede Stadt hat sie ihre Probleme. Aber für mich hat sie etwas ganz Besonderes gegeben – die Chance, mich selbst zu finden.

Jetzt komme ich zurück, nicht als jemand, der vor einer Lüge davonläuft, sondern als jemand, der stolz auf sich selbst ist. Die Stadt sieht gleich aus, aber ich habe mich verändert. Die Cafés sind noch da. Die Straßen fühlen sich vertraut an. Die Erinnerungen sind noch stark.

Diesmal kehre ich nicht nach Vilnius zurück, um zu fliehen – sondern um zu feiern.